Mir geht es gut

Eine Kurzgeschichte von Lanah Große


„Wie geht es dir?“
„Mir geht es gut.“
Aber es fällt ihm jeden Tag schwerer, aufzustehen. Er muss sich durch den Alltag quälen
in der Hoffnung, dass niemand seine Zweifel bemerkt.


„Wie geht es dir?“
„Mir geht es gut.“
Aber ihr eigener Druck raubt ihr den Schlaf. Sie arbeitet, bis sie voller Erschöpfung an
ihrem eigenen Schreibtisch auf einem Haufen von Heften und Büchern einschläft.


„Wie geht es dir?“
„Mir geht es gut.“
Doch er zittert und ihm schießen bei diesen Worten die Tränen in die Augen. Aber er gibt
es nicht zu, sondern schiebt es auf Kälte, Wind und Regen. Sobald er jedoch die Tür in
seinem Zimmer abgeschlossen hat, weint und zittert er. Allein.


„Wie geht es dir?“
„Mir geht es gut.“
Um seine Probleme zu vergessen, geht er auf die Partys am Wochenende. Dort kann er
abschalten und mit dem Alkohol alles verdrängen, was ihm sein Leben ruiniert hat.


„Wie geht es dir?“
„Mir geht es gut.“
Aber wenn ihre blauen Flecken sich nicht mit Concealer verdecken lassen, trägt sie
selbst im Sommer lange Hosen und Jacken.


„Wie geht es dir?“
„Mir geht es gut.
Aber sie hat aufgehört zu essen, schon seit langem fühlt sie sich für jeden Bissen
schuldig und schwach. Sie kann es nicht zulassen, zuzunehmen.


Uns allen geht es gut. Auf unsere eigene spezielle Art und Weise. Warum geben wir es
nicht zu, an uns zu zweifeln? Vielleicht könnte uns etwas Hilfe, um wieder glücklich zu
werden, nicht schaden. Aber oft sieht Hilfe anders aus, als wir sie uns vorstellen…


„Lächle doch mal, das Leben ist doch schön!“
„Anderen geht es viel schlechter. Sei dankbar für deine Probleme!“
„Das ist normal in deinem Alter! Da musst auch du mal durch!“
„Ach komm, stell dich nicht so an!“
„Vergiss sie einfach, ich wusste von Anfang an, dass es nicht halten würde!“
„Deine Probleme hätte ich gerne, du bist dünn und wunderschön!“
„Ich verstehe nicht, wieso du dir darüber den Kopf zerbrichst. Ziemlich kindisch, wenn
du mich fragst.“
„Warum beschwerst du dich darüber? Andere würden alles dafür tun, um wie du zu
sein!“
„Du willst doch nur Aufmerksamkeit!“
„Das wird schon wieder, das ist nur eine Phase!“
Oder sie sagen dir auch nur:
„Ja, reiß dich doch einfach zusammen…“


Auf solch eine Hilfe kann ich verzichten.


„Wie geht es dir?“
„Danke, Mir geht es gut.“

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