Eine Kurzgeschichte von Noah Kálmán
Der Stahl ist kalt auf meiner Haut, wie ein alter Freund lächelt er mich an, bereit, mir alle Probleme zu nehmen. Scharf ist er, doch ist er scharf genug?
Du wirst nie wieder mit dem Geräusch von Regen gegen die Scheibe einschlafen. Nicht mehr aufwachen, wenn die Sonne deine Nasenspitze kitzelt.
Der Gedanke kommt so plötzlich, so erschreckend, dass ich ihn sofort verwische.
Das Seil baumelt einsam über meinem Küchenhocker. Die Schlinge ist noch immer lose, wartet auf meinen Hals. Ich habe es nicht über mich gebracht.
Die Balkontür stand offen, würde der vierte Stock hoch genug sein?
Du wirst nie wieder sehen, wie sich die Blätter von grün zu braun wandeln und den Boden bedecken.
Meine Pillen liegen verteilt in der Küche, einzelne rollen aus den kleinen Haufen über die Tischkante. Vielleicht wäre die vierfache Dosis schon genug.
Du wirst nie wieder einen Sonnenuntergang sehen, der den Himmel in Brand steckt und einen besseren Tag verspricht.
Das Bad dampft, das Wasser ist heiß. Kann ich meinen Atem lange genug anhalten?
Nie wieder dein Lieblingslied im Radio hören, aus vollem Hals jedes einzelne Wort mitsingen und tanzen, wenn niemand zuschaut.
Die Rasierklinge schneidet etwas in meine Haut als meine Gedanken abschweifen. Das Rot des einzelnen Tropfen Blutes vermischt sich in einem kleinen Wirbel mit einer herabgefallenen Träne auf meinem Handgelenk.
Schleichend tropft er auf den Brief vor mir und nimmt etwas der frischen Tinte in seinen Farbenstrudel auf. Die kleine Farbenperle hat etwas seltsam Friedliches an sich. Ich erwische mich dabei, eine Sekunde zu lang das Farbspiel zu genießen.
Du wirst nie wieder lachen, bis du weinen musst.
Nie wieder deine Füße im Sand vergraben. Den feinen Sand zwischen deinen Zehen hindurchlaufen und vom Meer wegwaschen lassen.
Die Tränen beginnen, wie ein kleines Rinnsal aus meinen Augen zu laufen. Ich bin nicht bereit, doch ich kann auch einfach nicht mehr. Wie könnte ich jemals vergessen? Es ist zu schmerzvoll, zu viel, zu schwer.
Würde die Welt ohne mich ein besserer Ort sein?
Du wirst keine Umarmung mehr haben, die ein bisschen des Gewichts von deinen Schultern nimmt, die Art von Umarmung, bei der die Zeit stehenbliebt, nur um dir beim Atmen zuzuhören.
Keine Eiscreme. Kein Wolkenbeobachten.
Keine Geburtstage. Kein Weihnachten.
Keine Gewitter in der Nacht.
Kein Streit. Keine Vergebung danach.
Du wirst dich niemals verlieben, keinen ersten Kuss erleben. Wolltest du nicht immer auf der Brust eines Geliebten liegen und seinen Herzschlag auf deiner Wange fühlen?
Denke an den Strand, die Berge. Du wolltest schon immer die Berge sehen, erinnerst du dich nicht mehr? Hast du schon alles vergessen? Denke an das Geräusch des Waldes, an den Duft eines neuen Buches und frisch gebackener Kekse.
Wenn Kekse es nicht wert sind, zu leben, was ist es dann?
Vielleicht das Schlafen in frisch gewaschenen Laken. Das Beobachten von Sternen im Nachthimmel. Das Gefühl, wenn dir jemand wirklich zuhört und dir seine ganze Aufmerksamkeit schenkt.
Du hoffst auf den Tag, an dem du weinen kannst und nicht mehr einfach in den Raum starrst, während du dein Herz zerspringen fühlst. Sie sagen „Folge deinem Herz“, doch wenn es dann endgültig zerbrochen ist, welchem Stück sollst du folgen?
Du wartest darauf, dass sich all die Gedanken in deinem Kopf endlich entknoten, sodass du endlich wieder etwas fühlen kannst, geliebt zu werden, ohne darum betteln zu müssen. Doch dieser Tag kam nie.
Nein, er kam nie. Ich war so still, habe alles in mir eingeschlossen, dass ich selbst vergessen habe, wie sehr ich eigentlich leide. Wahre Fröhlichkeit, ich vermisse sie so sehr. Ich habe sie nicht vergessen, ich kann mich nur nicht an sie erinnern.
Es gäbe noch so viel, dass ich sagen könnte. Die Leere ist so groß, so tief geworden, sie lechzt nach neuer Liebe, neuen Worten. Alles zu seiner Zeit.
Sanft streife ich mir eine Jacke über und werfe einen Blick hinaus in die Nacht.
Ich gehe Kekse kaufen.